Derzeit liegen bei vielen Bahnkunden und Fluggästen die Nerven blank. Grund dafür sind flächendeckende Streiks, die die Meisten von uns wohl eher in klassischen Streikländern – aber nicht in der Bundesrepublik – erwarten würden. Zudem erschrecken viele, die Gehaltsverhandlungen aus anderen Branchen kennen, darüber dass es nicht zuerst einen kleinen Warnstreik gegeben hat. Stattdessen schlugen sowohl die Lokführer, als auch die Piloten flächendeckend und mit kurzer Vorwarnung zu. Um beurteilen zu können, ob die Streiks berechtigt oder überzogen sind, lohnt sich ein Blick auf beide Unternehmen und die gestellten Forderungen.

Im Flugverkehr ist das goldene Zeitalter der Monopolisten vorbei

Wer den Streik der Piloten und ihre Forderungen verstehen möchte, der muss in der Historie der Luftfahrt so etwa 15 bis 20 Jahre zurückgehen. Vor der vollständigen Liberalisierung des Luftverkehrs gab es auf den meisten Strecken lediglich zwei Fluggesellschaften, die die Flugpreise staatlich genehmigen lassen mussten. Viele Fluggäste Lufthansa Streikwaren zu vollen Tarifen der First- und Business Class unterwegs und spülten den Fluggesellschaften reichlich Geld in die Kasse.

Dieses wurde nur zu einem kleinen Teil in Produktinovationen gesteckt, die Personalkosten sind im Vergleich zu vielen anderen Branchen sehr hoch. Im aktuellen Tarifstreit zwischen der Vereinigung Cockpit und der Lufthansa geht es darum, ob die Belegschaft zu Zugeständnissen bei Neueinstellungen bereit ist. Konkret gesprochen verlangt die Pilotengewerkschaft jedem bei der Kernmarke Lufthansa eingestellten neuen Piloten die Möglichkeit des Vorruhestandes zu geben. Je nach Quelle werden unterschiedliche Durchschnittsbeträge genannt.

Unbestritten ist allerdings, dass ein Pilot der mit 55 Jahren in Frührente gehen möchte, von seinem Jahresgehalt im Bereich von 150.000-170.000 Euro über 80.000 Euro jährliche Zusatzrente von der Lufthansa bekommen soll. Diese Vorruhestandsbezüge belasten das Unternehmen außerordentlich, weil der Wettbewerb härter geworden ist.

Wer einen Blick auf den internationalen Luftverkehr und die Herausforderungen wirft, der versteht dass die Lufthansa die Privilegien des goldenen Zeitalters der Monopolisten nicht verlängern kann.

Video: Streik bei Lufthansa und GDL

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Besitzstandswahrung der Piloten statt gemeinsamer Aufbruch

Klaus-Peter Siegloch vom Luftverkehrsverband sprach von einer mageren Umsatzrendite der Lufthansa von etwa 2 %! Damit gehört die Klage des Lufthansa-Managements über zu hohe Koste in diesem einen Fall nicht zu den Tarifverhandlungsritualen, sondern entspricht der Wahrheit. Im Bereich der viel Reisenden und hohe Flugpreise bezahlenden Passagiere der First- und Business Klasse steigen die Kosten enorm. Die Mitbewerber aus dem Nahen Osten bieten Sitze an, die sich in fliegende Betten verwandeln lassen.Statistik zum Bahn Streik

Diesem Trend muss die Lufthansa folgen und die Anzahl der Sitze pro Reihe in der Business Klasse der B747-800 auf dem Hauptdeck von 7 auf 6 reduzieren. Im Bereich der ersten Klasse geschieht ähnliches: Waren 1996 im Oberdeck der B747-400 noch insgesamt 20 Sitze der First in fünf Reihen zu finden, so sind es heute (bei inflationsbereinigt sogar leicht sinkenden Durchschnittserlösen) nur noch acht. Die Pilotengewerkschaft verneint also mit dem Aufrechterhalten des goldenen Handschlags für Piloten die Wettbewerbssituation der Lufthansa und gefährdet teilweise sogar deren Zukunft.

Von Gewerkschaftsseite oder auch der Linkspartei ist sogar zu hören, dass die Lufthansa eine Dividende gezahlt hätte, was als Zeichen zu niedriger Lohnkosten gewertet wird. Dabei steht die komplette Umrüstung der Flotte auf die neue Business Klasse bevor, die beim A380 zu einem weiteren leichten Produktivitätsverlust führen wird. Statt 98 werden auf gleicher Fläche nur noch 92 Sitze installiert. Die sinkenden Durchschnittserlöse der Economy-Klasse kennt wahrscheinlich jeder, der schon einmal selbst einen Urlaubsflug gesucht hat.

Unser Urteil zur Tarifforderung der Vereinigung Cockpit lautet deshalb: Vollkommen überzogen.

Die Lokführer-Forderungen sind ein bunter Mix aus Tariferhöhung und Machtkampf

Im Gegensatz zu den Lokführer-Streiks der vergangenen Jahre hält sich das Verständnis der Bahnkunden dieses Jahr in Grenzen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es alters- bzw. ruhestandsbedingt zu einem Wechsel an der Spitze der Lokführer-Gewerkschaft gekommen ist. Der frühere Chef der Lokführer-Gewerkschaft Manfred Schell hat zwar Deutsche Bahn StreikGehaltserhöhungen und berechtigte Forderungen erkämpft, war aber überall wegen seiner sachlichen Art geschätzt. Er hat das Ruder an Claus Weselsky übergeben, der gewerkschaftsintern und gegenüber der Öffentlichkeit sehr kantig und dezidiert auftritt.

Dabei gewinnen viele Menschen den Eindruck, dass es ihm wesentlich mehr um folgende Forderung geht: Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) möchte auch der führende Verhandlungspartner für das übrige Zugpersonal sein. Die traditionelle Teilung mit der weiteren großen Gewerkschaft – der EVG – akzeptiert er nicht mehr. In einer Fernsehsendung sprach er mehrfach davon, dass er sich nicht „unterwerfen“ möge. Zusätzlich fordert er einen Mix aus Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhungen sowie mehr Freizeitblöcken, die das Unternehmen – wie Frank Plasberg im Faktencheck einer Fernsehsendung vorrechnete – irgendwo um 15 Prozent kosten.

Berater Tipp

Beide vollkommen unabhängige Tarifkonflikte werden von mangelnder Sozialkompetenz beherrscht

Beide Tarifkonflikte sind leider keine Sternstunde der Demokratie und der grundgesetzlich garantierten Koalitionsfreiheit bzw. Tarifautonomie der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Im Bereich der Lokführer wird ganz deutlich, dass mehrere klassische Verhandlungs- und Eskalationsstufen übersprungen worden sind. Eine Seite möchte mit dem Kopf durch die Wand und ist weder zu Verhandlungen oder einer Schlichtung bereit. Damit weicht Herr Weselsky von Verhandlungsabläufen ab, die seit über 50 Jahren bewährt sind und ihren eigenen Teil zum Wohlstand der Bundesrepublik beigetragen haben. Beim Streik der Piloten besteht zudem das Risiko, dass beim Bestehen auf den traditionellen Privilegien die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Unternehmens überschritten wird und es ein ähnliches Schicksal wie viele amerikanische Airlines erleidet. Und nach harten Einschnitten in einer anderen, reduzierten Form weiterfliegen kann.

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