Banken sehen in dem Widerruf eines Immobilienkredits einen treuwidrigen Versuch des Kunden, sich aufgrund des aktuell niedrigen Zinsniveaus einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Am 1. Dezember fällt der Bundesgerichtshof (BGH) diesbezüglich ein Urteil, das den Verbrauchern unter Umständen Rückenwind geben wird.

Wer einen Immobilienkredit widerruft, handelt treuwidrig?

Wer der Argumentation der Geldinstitute folgt, könnte zu diesem Ergebnis kommen. Übt ein Kreditnehmer bei einem Baukredit sein vertragliches und gesetzliches Widerrufsrecht aus, stößt er bei den Banken meist auf heftige Gegenwehr. Die Geldinstitute äußern ernsthafte Zweifel an der Redlichkeit ihrer Kunden. Dabei argumentieren die Banken in Deutschland dahin gehend, dass die Kreditnehmer nur deshalb den Kredit widerrufen, um durch einen neuen Finanzierungskredit die momentan niedrigen Zinsen nutzen zu können. Im Anschluss an den widerrufenen Kredit würden sie sofort einen neuen Kredit zu besseren Konditionen abschließen.

Juristisch gesehen handelt der Verbraucher in diesem Fall tatsächlich rechtsmissbräuchlich, beziehungsweise treuwidrig. Einige Gerichte schlossen sich der Meinung der Kreditinstitute bereits an. Aus diesem Grund wurden Widerrufe von Immobilienkrediten häufig als unzulässig zurückgewiesen, da es sich hier, zumindest nach Auffassung der Gerichte, nur um einen Vorwand der Kunden handeln würde, um sich einen persönlichen, wirtschaftlichen Vorteil zu verschaffen. Der Kreditnehmer hätte demnach sein Recht auf Widerruf verwirkt. Ob das wirklich so ist, soll im Dezember in Karlsruhe vom BGH entschieden werden.

Hohe Geldzahlung verhindert BGH-Urteil

Aufgrund des sogenannten Widerrufsjokers haben Immobilienbesitzer das Recht, ihr beantragtes Darlehn zu widerrufen, sofern im Kreditvertrag eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung steht. Die Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH) hat ermittelt, dass rund 80 Prozent aller im Zeitraum von 2002 bis 2010 abgeschlossenen Immobilienkreditverträge eine solche fehlerhafte Widerrufsbelehrung enthalten. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die gesetzlich vorgeschriebene 14-tägige Widerrufsfrist wegen falscher oder fehlender Informationen nie begonnen hat. Das bedeutet, der betroffene Kreditnehmer hätte ein zeitlich unbegrenztes Recht auf Widerruf. Somit würde jedem betroffenen Darlehnsnehmer ein gesetzliches, unendliches Widerrufsrecht zustehen. In einer solchen Situation spricht man dann von einem Widerrufsjoker. Eine Vorfälligkeitsentschädigung kann von der zuständigen Bank in diesem Fall nicht verlangt werden.

Sicherlich steckt in den seit einigen Jahren stark gefallenen Zinsen ein beachtliches Sparpotenzial. Dabei kann es sich durchaus auch schnell um einen fünfstelligen Betrag handeln. Doch stellt sich die Frage, ob sich daraus generell ein Rechtsmissbrauch ableiten lässt, nur weil ein Kreditabkommen durch den Kunden widerrufen wird. Muss derjenige, der eigentlich das Verbraucherrecht auf seiner Seite hat, sein gesetzliches Recht auf Widerruf noch zusätzlich begründen? Viele Kreditnehmer wollen sich dem nicht beugen. Bereits im Juni 2015 sollte der BGH über einen Fall urteilen, der eventuell Klarheit bezüglich der Frage des Widerrufsjokers geschaffen hätte.

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Bei dem besagten Fall, der unter dem Aktenzeichen XI ZR 180/15 beim Banksenat des Bundesgerichtshofes verhandelt werden sollte, ging es um einen Kreditnehmer, der sein Geld in einen Investmentfonds angelegt und zur gleichen Zeit ein Finanzierungsdarlehn in Anspruch genommen hatte. Leider entwickelte sich das Investment nicht wie geplant. Daraufhin beantragte der Darlehnsnehmer eine Rückabwicklung der zuvor abgeschlossenen Kreditvereinbarung, aufgrund fehlerhafter Widerrufsbelehrung.

Der Fall ging durch alle Instanzen und landete schließlich beim Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg. Hier sah man zwar keine Verwirkung des Widerrufsrechts, wies die Klage letzten Endes aber doch ab, da es offensichtlich sei, dass es dem Kläger hauptsächlich um das Beenden des unglücklich verlaufenen Investments gegangen sei. Das Oberlandesgericht entschied somit, dass sich der Kreditnehmer mit dem Widerruf treuwidrig verhalten hatte. Die Angelegenheit landete schlussendlich im Juni beim BGH.

Doch wer auf ein Grundsatzurteil gehofft hatte, sollte schwer enttäuscht werden. Bevor es in Karlsruhe zur Verhandlung kam, zahlte die Bank dem Kläger eine hohe Geldsumme, woraufhin dieser die Klage zurückzog.

Neuer Anlauf für ein gerechtes Urteil

Der Bundesgerichtshof hat nun am 1. Dezember erneut die Möglichkeit, sich in einem ähnlich gelagerten Fall wie dem obigen eine Meinung über die Zulässigkeit eines Widerrufs zu bilden. Die bisherigen Urteile des obersten deutschen Gerichts waren bisher recht verbraucherfreundlich ausgefallen. Daher stehen die Chancen relativ gut, dass das Gericht die Zulässigkeit eines Widerrufs unabhängig von der Motivation des Verbrauchers sieht und der Klage stattgibt.

Berater Tipp

Zugleich könnte die Entscheidung des BGH als Grundsatzurteil für die unteren Instanzen gesehen und auch in Zukunft angewandt werden. Alle Gerichte, die Klagen zum Einsatz des Widerrufsjokers abgewiesen haben, müssten dann ihre Rechtsauffassung neu überdenken, sofern sie nicht Gefahr laufen wollen, im Widerspruch zum BGH zu handeln.

Kann sich die Bank wieder freikaufen?

Das Urteil des BGH käme zur rechten Zeit. Im Juni 2016 soll das neue Gesetz für Immobilienkredite in Kraft treten, welches die Möglichkeit, alte Darlehnsabkommen – die bis zum Jahre 2010 getroffen wurden – zu widerrufen, nicht mehr gestattet. Das sogenannte ewige Widerrufsrecht würde dann endgültig der Vergangenheit angehören. Daher empfiehlt die Verbraucherzentrale allen eventuell betroffenen Kreditnehmern, sich rechtzeitig zu informieren und bei Bedarf tätig zu werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Darlehn zwischenzeitlich bezahlt wurde oder nicht. Entscheidend ist das Urteilsvermögen des BGH am 1. Dezember. Für betroffene Kreditnehmer bleibt zu hoffen, dass der Kläger standhaft bleibt und sich nicht durch eine Geldzahlung der Bank zum Vergleich überreden lässt.

Es ist generell wichtig, dass Karlsruhe im Bezug auf das Widerrufsrecht eine klare Leitlinie vorgibt. Aufgrund des hart geführten Konkurrenzkampfes gehen Kreditunternehmen, vor allem im Internet, stets neue Wege, um den Service für ihre Kunden zu erhöhen. So erhält der Verbraucher zum Beispiel durch das innovative Auszahlungsversprechen bei Smava innerhalb kürzester Zeit einen „Vorabentscheid“ seiner Kreditanfrage. Ein Kredit kommt allerdings erst nach Unterzeichnung aller gesetzlich vorgeschriebenen Unterlagen inklusive der hoffentlich fehlerfreien Widerrufsbelehrung zustande.

Titelbild: © istock.com – Rostislav_Sedlacek