Mit der überraschenden erneuten Leitzinssenkung vor wenigen Tagen hat die EZB ein weiteres Signal gesetzt, das zu mehr Wachstum und Beschäftigung in der Euro-Zone führen soll. Ob das gelingen wird, bezweifeln allerdings viele Experten.
Niedrige Zinsen für mehr Kredite
Mit gerade noch 0,05 Prozent ist der Leitzins bei einem historischen Rekordtief angekommen. Für Einlagen der Banken bei der EZB gilt bereits ein Negativzins von -0,1 Prozent. Nie war es für Banken so wenig lohnend, Geld bei ihrer Zentralbank zu deponieren und nie so günstig, dort Geld zu leihen. Der geplante Aufkauf von Kreditpaketen und Pfandbriefen soll noch mehr Geld in die Wirtschaft spülen.
Alle diese Aktivitäten haben zum Ziel, endlich die Kreditvergabe im Euro-Raum anzukurbeln. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für mehr Investitionen, die wiederum die Basis für wirtschaftliches Wachstum bilden. Obwohl Geld schon länger billig ist, zeigen sich Banken bei der Kreditvergabe vorsichtig. Vielen stecken noch die negativen Erfahrungen der Finanz- und Eurokrise in den Knochen. Wer sich jetzt dennoch privat über aktuelle Konditionen verschiedener Anlageoptionen informieren will, kann seine Möglichkeiten auf Vergleichsportalen abwägen.
Video: Es war ein mal, in einem Land, in dem es 5% Zinsen gab…
Italien und Frankreich stagnieren
Doch das ist längst nicht die einzige Ursache, warum Europas Wirtschaft lahmt. Nur mühsam bewegt sich der Euro-Raum aus dem tiefen Loch der Euro- und Schuldenkrise heraus. Zwar zeigen sich bei den Krisenstaaten mittlerweile positive Entwicklungen und Reformanstrengungen beginnen zu greifen. Selbst Griechenland überraschte zuletzt mit positiven Nachrichten.
Dafür kommen zwei bedeutende Volkswirtschaften der Euro-Zone nicht voran – Frankreich und Italien. In beiden Ländern herrscht bereits seit Längerem Stagnation. Sie geht einher mit politischen Unsicherheiten und erkennbaren Schwierigkeiten, einen klaren Reformkurs zu beschreiten. Stattdessen sprechen sich beide Länder für eine Lockerung des Fiskalpaktes aus. Mehr Schulden sollen die Wirtschaft ankurbeln helfen – ein Rezept, an dessen Nutzen gezweifelt werden darf.
Ängste und Unsicherheiten belasten
Hinzu kommen Stimmungseintrübungen, die die internationalen Krisenherde derzeit verursachen. Der Konflikt mit Russland wegen der Ukraine und die Lage im Nahen Osten erschrecken gleichermaßen. Das sind keine guten Voraussetzungen für wirtschaftlichen Optimismus. Von daher überrascht es nicht, dass die europäische Konjunktur insgesamt lahmt. Für dieses Jahr rechnet die EU-Kommission mit einem Wachstum von lediglich 1,2 Prozent. Die Wachstumsprognose für kommendes Jahr wurde bereits auf 1,7 Prozent zurückgenommen.
Entwicklung des Zinssatzes der Europäischen Zentralbank
Entwicklung des Zinssatzes der Europäischen Zentralbank für das Hauptrefinanzierungsgeschäft in den Jahren 1999 bis 2014 | ||
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10. September 2014 | 0.05 | in % |
11. Juni 2014 | 0.15 | in % |
13. November 2013 | 0.25 | in % |
08. Mai 2013 | 0.50 | in % |
11. Juli 2012 | 0.75 | in % |
14. Dezember 2011 | 1.00 | in % |
09. November 2011 | 1.25 | in % |
13. Juli 2011 | 1.50 | in % |
13. April 2011 | 1.25 | in % |
13. Mai 2009 | 1.00 | in % |
08. April 2009 | 1.25 | in % |
11. März 2009 | 1.50 | in % |
21. Januar 2009 | 2.00 | in % |
10. Dezember 2008 | 2.50 | in % |
12. November 2008 | 3.25 | in % |
09. Oktober 2008 | 3.75 | in % |
08. Oktober 2008 | 3.75 | in % |
09. Juli 2008 | 4.25 | in % |
Quelle: © EZB – September 2014 – statista.de
Strukturelle Reformen benötigt
Ob eine forcierte Politik des billigen Geldes hier weiterhelfen kann, ist höchst umstritten. Viele sehen die Möglichkeiten der Geldpolitik inzwischen als weitgehend ausgereizt an. Solange es bei den Wirtschaftsschwergewichten der Euro-Zone wie Frankreich und Italien nicht zu strukturellen Reformen komme, werde sich nicht viel bewegen, auch wenn immer mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt werde, so die Befürchtung. Letztlich führe dies nur dazu, dass sich das Finanzrad immer schneller drehe, die reale Wirtschaft aber weiter auf der Stelle trete.
Es ist die klassische Situation der Liquiditätsfalle, die der Ökonom John Maynard Keynes theoretisch beschrieben hat: eine Lage, in der die Zentralbank über eine Niedrigzinspolitik die Geldmenge ständig erhöht, ohne dass dies die Investitionsbereitschaft beeinflusst. Keynes empfahl damals, die Investitionslücke über vorübergehend schuldenfinanzierte staatliche Investitionen zu schließen. Viele Staaten, die diesem Rezept gefolgt sind, vergaßen allerdings später den Schuldenabbau – u.a. auch Frankreich und Italien. Heute gilt die immer weitere Verschuldung nicht mehr als geeignete Lösung.
Begrenzte Effekte der Geldpolitik
Als Fazit bleibt festzuhalten: die Geldpolitik ist nur eine Seite der Wirtschaftspolitik. Sie kann wirtschaftspolitische Reformversäumnisse nicht heilen. Insofern ist Skepsis bezüglich der jüngsten Zinssenkung der EZB angebracht. Die Wirtschaftsaussichten in der Euro-Zone werden weiter verhalten bleiben, wenn nicht an anderer Stelle gehandelt wird.
Titelbild: © jinga80 – Fotolia.de
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