Nach der Wahl herrschte bei den Arbeitgeberverbänden und auch in der Politik eine ziemlich große Ratlosigkeit. Die Ideologie der Steuer- und Beitragssenkung – hauptsächlich vertreten durch die FDP – konnte sich ebenso wenig durchsetzen wie ein klarer Kurs zu Lohnerhöhungen und faireren Sozialleistungen – den im Wesentlichen die Partei „Die Linke“ vertritt. Dann erlebte die Bundesrepublik eine Neuauflage der großen Koalition und die Arbeitgeber sehen sich mit verschiedenen Plänen konfrontiert, die die bisherigen Planungen über den Haufen werfen.
Die Rentenbeitragssenkung war Rechtslage und schon fest eingeplant
Schon dieses Jahr sollten die Rentenbeiträge von 18,9 auf nur noch 18,3 Prozent sinken, womit Arbeitgeber und Arbeitnehmer entlastet werden sollten. Diese noch von der bisherigen Bundesregierung stammende Regelung wurde allerdings gekippt, weshalb die Kostenersparnis nicht realisiert werden kann. Die Arbeitgeberseite ist natürlich darüber enttäuscht, dass die ihrer Meinung nach zu hohen Lohnnebenkosten nicht gesenkt werden. Die Mehreinnahmen sollen aber nicht in eine Stärkung der Reserven der Rentenversicherung gesteckt werden. Stattdessen dienen sie dazu, die neue Rentenpolitik zu finanzieren. Die „Rente mit 63“ sowie auch die neue Mütterrente sollen damit auf einer breiten Finanzierungsgrundlage stehen.
Die Verrentung mit 63 Jahren schränkt das Arbeitskräfteangebot ein
Ein weiterer Grund dafür, dass die Arbeitgeber mit der neuen Rentenpolitik nicht zufrieden sind, ist dass sie dem Trend zur Senkung der Reallöhne entgegenwirkt. Ähnlich wie bei anderen Produkten auch haben die Arbeitgeber ja als Nachfrager ein Interesse an möglichst geringen Einkaufspreisen. Im Klartext sind sie also an niedrigen Stundenlöhnen interessiert. Wenn jetzt die meisten Arbeitnehmer der Alterskohorten von 63 bis 67 (oder gar 69 Jahren) den Renteneintritt nicht mehr – wie bei den bisherigen hohen Abschlägen – später als früher vornehmen, dann fehlen diese Anbieter von Arbeitsleistung auf dem Arbeitsmarkt. Bei einer praktisch gleichbleibenden Nachfrage nach zu leistenden Arbeitsstunden bedeutet dies eine bessere Situation für alle Arbeitnehmer – da deren Arbeitsleistung sich zu einem knappen Gut entwickeln könnte.
Die Rentenpolitik korrigiert einige Maßnahmen der Agenda 2010
Die Unzufriedenheit der Arbeitgeber geht über diese kleinen Korrekturmaßnahmen weit hinaus. Wer die nicht erfolgte Rentensenkung um 0,6 Prozentpunkte in eine monatliche Entlastung der Gesamtrentenbeiträge pro Arbeitnehmer umrechnet, der kommt bei einem Monatsbrutto von 3.000 Euro gerade einmal auf eine nicht erfolgte Kostensenkung um 18 Euro. Dieser pro Monat und Mitarbeiter erstaunlich geringe Wert wäre alleine keine Unzufriedenheit wert. Allerdings schwingt in der massiv geäußerten Kritik eine weitere Angst der Arbeitgeber mit: Der gesamte umfangreiche Maßnahmenkatalog der Agenda 2010, die eine weitestgehende Deregulierung der Arbeitsmärkte zum Ziel hatte, könnte in Zukunft hinterfragt werden. Vielleicht auch die Förderung der privaten Altersvorsorge alleine aus Staatsmitteln – anstatt die gesetzliche Rente mit einer paritätischen Teilung der Kosten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer als die wesentliche Säule der privaten Altersvorsorge zu stärken.
Die Unumkehrbarkeit der letzten zehn Jahre wird erstmals in Frage gestellt
Obwohl die Arbeitgeber-Vertreter dies nicht offen aussprechen erleben sie gerade eine Zeitenwende in Berlin. Nach der Verkündung der Agenda 2010 durch den damaligen Bundeskanzler Schröder, SPD, erfolgte eine eindeutige Orientierung der Wirtschaftspolitik an einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Neben einer weiteren Binnenmarktintegration stand insbesondere die Verringerung der Lohnkosten und auch der Lohnnebenkosten im Vordergrund, die durch eine verbesserte Kostensituation zu noch mehr Wohlstand führen sollte. Da sich inzwischen die mahnenden Stimmen mehren, dass die Binnenkaufkraft zu sehr Schaden nehmen würde, besteht das Risiko einer Politikänderung. Damit würde der Pfad der angeblichen Unumkehrbarkeit der Agenda 2010 verlassen, was der Arbeitgebersektor mehrheitlich kritisch sehen wird.
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